22. September 2022Dr. Dierk Bredemeyer

Vorratsdatenspeicherung: Chronologie der deutschen Regelungen und aktuelle Rechtsprechung des EuGH

(Urt. v. 20.09.2022, Rs. C-793/19, C- 794/19 u.a.)

Eine anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten verstößt gegen EU-Recht und ist somit unzulässig, so die Entscheidung des EuGH zur aktuellen deutschen Fassung der Vorratsdatenspeicherungsregelung im Telekommunikationsgesetz (TKG). Ohne Anlass dürfen die Kommunikationsdaten der Bürger fortan nun nur noch unter strengen Voraussetzungen gespeichert werden.

Vorratsdaten sind Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, also Informationen, die ohne Bezugnahme auf Inhalte mit einer bestimmten Nachrichtenverbindung im äußeren Zusammenhang stehen und diese Verbindung aus technischer oder formaler Sicht näher charakterisiert. Beispiele für Vorratsdaten sind Telefonverbindungsnachweise, Standorte bei Telefonaten oder Internet-Nutzung sowie IP-Adressen. Nach dem datenschutzrechtlichen Grundsatz der Datensparsamkeit müssen anfallende Nutzerdaten unverzüglich gelöscht werden.

Um die Nutzung von Vorratsdaten zum Zwecke von Strafverfolgungs-Ermittlungen zu ermöglichen, wurde das Instrument der Vorratsdatenspeicherung (VDS) geschaffen, also die Verpflichtung von Telekommunikationsunternehmen, Verkehrsdaten für einen bestimmten Zeitraum zum Zwecke der Strafverfolgung vorsorglich zu speichern. Ein konkreter Straftatbestand muss hierfür nicht vorliegen.

Nachdem mit der EU-Richtlinie 2006/24/EG im Jahre 2006 alle EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet wurden, Vorratsdatenspeicherungen einzuführen, wurde in Deutschland Anfang 2008 das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ in Kraft gesetzt. Diese Regelung wurde jedoch bereits im März 2010 durch das BVerfG für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Begründete wurde das Urteil mit einem unzulässigen Eingriff des Gesetzes in den Schutzbereich des Art. 10 GG  aufgrund fehlender konkreter Maßnahmen zur Datensicherung und einer zu niedrigen Hürde für staatliche Daten-Zugriffe.

Auch die EU-Richtlinie wurde im April 2014 durch den EuGH für ungültig erklärt, da auch hier eine Unvereinbarkeit mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgestellt wurde.

Im Dezember 2015 trat in Deutschland eine neue Regelung zur Speicherung von Vorratsdaten im TKG in Kraft, das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“:

Diese Neu-Regelung in §§ 176 – 179 TKG verpflichtet Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten, Verkehrsdaten über einen gesetzlich vorgegebenen Zeitraum auf Vorrat zu speichern und diese – im Bedarfsfall – Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendiensten oder mit Aufgaben der Gefahrenabwehr betrauten Behörden zur Verfügung zu stellen.
Zwar werden die Daten von jedermann verdachtsunabhängig gespeichert, ein Rückgriff der Strafverfolgungsbehörden ist jedoch nur nach den Vorraussetzungen des § 100g StPO möglich. Im Vergleich zu der vorherigen Regelung wurde die Datensicherheit verbessert und auf die Speicherung von E-Mails verzichtet. Auch ein Verwertungsverbot für Daten von Berufsgeheimnisträgern fand in die Neu-Regelung Einzug.

Am 21. Dezember 2016 entschied der Europäische Gerichtshof, mit Rückgriff auf die vorherige Entscheidung zur EU-Richtlinie, dass das Verbot der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung auch für nationale Regelungen gilt, worauf hin das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen im Juni 2017 einen Verstoß der deutschen Regelung gegen EU-Recht feststellte.

Darauf wurde durch die Bundesnetzagentur die Vorratsdatenspeicherung „faktisch ausgesetzt“, indem von Anordnungen und Bußgeldverfahren wegen Nichtumsetzung der Speicherpflicht abgesehen wird. Nach Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht hat dieses das Verfahren dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Mit der vorliegenden Entscheidung bestätigte das Gericht erneut das Vorliegen eines Verstoßes der Regelung gegen EU-Recht: Aus der Gesamtheit der Daten könnten sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben von fast allen Menschen in Deutschland gezogen werden. Das könnte dazu führen, dass ein Gefühl der ständigen Überwachung entsteht. Der Zugang des Staates zu solchen sensiblen und höchstpersönlichen Daten stellt dabei einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff da.

Neben der eigentlichen Entscheidung zeigte das Luxemburger Gericht den rechtlichen Rahmen für eine zulässige Neuregelung auf:

Wenn es nicht um die Verteidigung der nationalen Sicherheit gehe, sei eine Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten im Bereich der elektronischen Kommunikation nur in engen Grenzen auf der Grundlage begrenzender Kriterien wie betroffenen Personen oder begrenzten Standorten möglich.

Nach dem Urteil des EuGH geht die Sache zurück an das Bundesverwaltungsgericht, das im konkret vorliegenden Fall ein Urteil fällen und dabei nun die neue EuGH-Entscheidung berücksichtigen muss. Ob und wann eine neue Regelung zur Vorratsdatenspeicherung kommt bleibt unklar.