12. Juni 2023Dr. Dierk Bredemeyer
Verordnung (EU) Nr. 2021/782)
Die am 07. Juni 2023 in Kraft getretene EU-Verordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr hat deutliche Auswirkungen auf die Haftung der Bahn bei Verspätungen und verringert Anspruchskonstellationen der Fahrgäste.
In der alten Fassung aus dem Jahr 2007 musste die Bahn bei Verspätungen einen Teil des Fahrpreises erstatten, unabhängig vom Grund der Verspätung des Zuges. Ausschlussgründe oder weitergehende Exkulpation zugunsten der Bahn gab es nicht. Insbesondere ein Haftungsausschluss aufgrund von höherer Gewalt wurde durch den EuGH explizit verneint.
Während ein solcher bei der Pauschalreise-Richtlinie sowie der Fluggastrechte-Verordnung Reiseanbieter und Airlines in der Corona-Pandemie vor Schadensersatzzahlungen schützte, führte der fehlende Ausschluss bei coronabedingten Zugausfällen und Verspätungen zu zahlreichen Entschädigungsansprüchen gegen Bahnbetreiber.
Um dieser Inkongruenz zwischen Verkehrsbetrieben entgegenzuwirken, wurde mit der neu in Kraft getretenen Verordnung Ausschlussgründe für die Haftung der Bahn eingeführt.
So muss die Bahn künftig nicht mehr zahlen, wenn außergewöhnliche Umstände zur Verspätung geführt haben. Als außergewöhnlicher Umstand zählen unter anderem extreme, unvorhersehbare Wetterbedingungen oder Naturkatastrophen, aber auch schwere Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit wie die Corona-Pandemie.
Durch eine weitere Neuerung führt auch jedes Verschulden eines Fahrgastes oder Dritten, das eine Verspätung zur Folge hat, zum Haftungsausschluss der Bahn. Bei den typischen Verspätungskonstellationen, die den Alltag im Zugverkehr prägen, wie Notarzteinsätzen auf der Strecke, Polizeieinsätzen im Zug, aber auch Kabeldiebstählen ist fortan keine Entschädigung des Fahrgastes vorgesehen.
Weiterhin haftbar bleibt die Bahn bei zurechenbaren technischen Defekten, Fehlern von Bahnmitarbeitern oder Irrtümern im Bahnverkehr jeglicher Art.
Im Interesse der Fahrgäste sind auch Streiks von Bahnmitarbeitern nicht von der Haftung ausgenommen – die Bahn hat also dafür einzustehen.
Beschwichtigend kommt hinzu, dass sich nur auf diese Ausnahmen berufen werden kann, wenn das Ereignis trotz aller Sorgfalt unvermeidbar war. Wie auch bei der Rechtsprechung des EuGH zur Fluggastrechte-Verordnung ist auch hier zu erwarten, dass streng ausgelegt wird, inwieweit ein solches Ereignis unvermeidbar war.
Die tiefgreifenden Veränderungen hinterlassen Fragen, die durch die Rechtsprechung geschlossen werden müssen. Darunter die Frage, wie viele kausale Folgefahrten von einer Verspätung einer Fahrt durch außergewöhnliche Umständen von dem Haftungsausschluss umfasst sind.
Es bleibt zudem abzuwarten, wie sich die Deutsche Bahn zu den Neuregelungen positioniert. Erste Aussagen des Konzerns sprechen von „kulanten Regelungen“. Möglich wäre es, durch privatautonome Regelungen vonseiten des Konzerns das Haftungskonzept der bisherigen Regelungen zugunsten der Fahrgäste bestehen zu lassen oder vergleichsweise mild anzupassen.