29. November 2023Dr. Dierk Bredemeyer

Kommunale Verpackungssteuern und deren Widerspruchsfreiheit zu Abfallregelungen des Bundes

Urt. v. 24.05.2023, Az BVerwG 9 CN 1.22

Die Stadt Tübingen darf eine kommunale Verpackungssteuer erheben. Die begründene Satzung ist trotz teilweiser Rechtswidrigkeit einzelner Satzungsbestimmungen nicht zu beanstanden, so das BVerwG. Damit unterlag die Betreiberin einer McDonald’s-Filiale in Tübingen letztinstanzlich, die gegen die kommunale Verpackungssteuersatzung geklagt hatte.

Mit seinem Urteil hat das BVerwG ein Urteil des VGH Mannheim aufgehoben, welches die in Tübingen eingeführte kommunale Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen für unwirksam erklärt hatte. Der Streitgegenstand, die am 30.1.2020 vom Gemeinderat der Universitätsstadt Tübingen beschlossene und am 1. 1. 2022 inkraftgetretene Verpackungssteuersatzung (VStS) sieht vor, dass auf „nicht wiederverwendbare Verpackungen (Einwegverpackungen) und nicht wiederverwendbares Geschirr (Einweggeschirr) sowie auf nicht wiederverwendbares Besteck (Einwegbesteck)“ eine Steuer anfällt, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden.

Zentraler Streitpunkt der Entscheidungen waren die Fragen, inwieweit eine kommunale Zuständigkeit der Kommunen durch die Eröffnung des Kompetenzbereichs des Art. 105 Abs. 2a S. 1 GG gegeben ist und inwieweit eine Kommune mit der Erhebung einer Steuer außerfiskalische Zwecke verfolgen und damit in von Sachgesetzgebungskompetenzen umfasste Bereiche eingreifen darf.

Bereits 1998 erklärte das BVerfG eine ähnliche Satzung der Stadt Kassel für unvereinbar mit dem Grundgesetz und damit für nichtig: Zur Verfassungswidrigkeit der kommunalen Verpackungssteuer gelangte das BVerfG über das in der Entscheidung statuierte Prinzip der „Schranke der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“. Dieses hatte das BVerfG aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet. Hiernach müsse der von seiner Rechtssetzungskompetenz gebrauch machende Bund oder die von der Kompetenz gebrauch machenden Bundesländer darauf achten, dass ihre Rechtssetzung nicht in Widersprich zu einem „höher zu bewertenden“ Regelungskonzept oder zu einer „höher zu bewertenden“ konkreten Einzelregelung steht.

Einen solchen Widerspruch habe es aber bei der Kassler Verpackungssteuer in Bezug zum Abfallrecht des Bundes gegeben: während dieses mit einem Kooperationskonzept auf die Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft abzielte und dadurch insbesondere den technischen und ökonomischen Sachverstand der Wirtschaft nutze, um Konzepte zur Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen eigenverantwortlich entwickeln zu lassen und staatliche Maßnahmen damit an ökonomische und ökologische Abwägungen knüpfte, habe es diese Offenheit der Handlungsmittel bei der Verpackungssteuer nicht gegeben, die grundsätzlich und undifferenziert für alle Verpackungsmittel galt.

Einen solchen Widerspruch sieht das BVerwG bezogen auf den Tübinger Fall bei der fortentwickelten und gegenwärtigen Ausgestaltung des Abfallrechts des Bundes nicht mehr.  Insbesondere bestehe kein Widerspruch zu abfallrechtlichen Regelungen auf EU- und Bundesebene, da alle — einschließlich der Stadt Tübingen — das Ziel der Abfallvermeidung regulatorisch verfolgen würden, wodurch die kommunale Verpackungssteuersatzung mit der Gesamtkonzeption des Abfallrechts in Einklang stehe. Argumentativ stützt sich das BVerwG auf den heutigen zentralen Stellenwert der Abfallvermeidung gegenüber dem Abfallgesetz (AbfG) von 1986, das lediglich eine allgemeine Pflicht zur Abfallvermeidung und Abfallverwertung vorsah (§ 1a AbfG 1986). Dieser Stellenwert sei u. a. in § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 Verpackungsgesetz (VerpackG) heute als vorrangiges Ziel benannt.

Hinzukomme, dass durch Veränderungen der Gesamtkonzeption des Bundesrechts nunmehr auch aus dem Kooperationsprinzip als bundesrechtlich vorgesehenes Handlungsmittel zur Erreichung abfallwirtschaftlicher Ziele aus heutiger Sicht kein Widerspruch der VStS zur Gesamtkonzeption des Bundesrechts bestehe.

Im Ergebnis erkennt das BVerwG die Abfallvermeidung als in der Abfallhierarchie am ranghöchsten stehendes Ziel und stärkt vor diesem Hintergrund die Möglichkeit der Kommunen weitere Abfallvermeidungsanreize zu schaffen.

Wenngleich das BVerwG auch unter Zugrundelegung des vom BVerfG entwickelten Maßstabs keinen Widerspruch zur Rechtsordnung sieht, bleibt die Entscheidung des BVerfG zu der von McDonalds erhobenen Urteilsverfassungsbeschwerde abzuwarten.