23. November 2022Dr. Dierk Bredemeyer

Härtefall bei Suizid-Gefahr: Fortsetzung des Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit

zu BGH, Urteil vom 26.10.2022 - VIII ZR 390/21

Äußert ein psychisch kranker Mieter für den Fall einer Räumung eine konkrete Suizidabsicht, ist das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Sowohl bei der Feststellung des Vorliegens einer Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 BGB, als auch bei deren Gewichtung im Rahmen der Interessenabwägung zwischen den berechtigten Belangen des Mieters und denen des Vermieters ist im Einzelfall, durch umfassende Würdigung der Gesamtumstände, zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich die, mit einem Umzug einhergehenden Folgen mindern lassen. Minderungsgründe können dabei beispielsweise mögliche Unterstützung des Mieters durch sein Umfelds sein, oder die Behandlung eines Arztes oder Therapeuten. Eine reine Ablehnung einer möglichen Therapie durch den suizidgefährdeten Mieter reicht jedoch grundsätzlich nicht, um das Vorliegen einer Härte abzulehnen oder bei der Interessenabwägung den Interessen des Vermieters den Vorrang einzuräumen. 

Im konkreten Fall wohnte eine über 80 Jährige Mieterin seit 1977 in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Köln. Nachdem der Vermieter im April 2017 das Mietverhältnis wegen Eigenbedarf kündigte, widersprach die Mieterin fristgerecht mit der Geltendmachung von Härtefallgründen. Darunter fallen, laut Angaben der Mieterin unter anderem schwere rezidivierende Depression und Suizidideen. Ein Gutachter bestätigte diese Angaben. Der Mieter klagte daraufhin vor dem Amtsgericht.

Sowohl das AG Köln, als auch das LG Köln, wiesen die Klage ab und ordneten, gem. §§ 574, 574a Abs. 2 Satz 2 BGB die Verlängerung des Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit an. Die Gerichte gaben der Klägerin Recht und bestätigten, dass die Beendigung des Mietverhältnisses für die Mieterin eine nicht zu recht- fertigende Härte bedeuten würde. Aufgrund der„völligen Fixierung auf ihre Bleibe“, sei es ihr auch nicht möglich gewesen, eine ihr angebotene Ersatzwohnung anzunehmen, so das Urteil.

Die vom Kläger eingelegte Revision vor dem BGH blieb ohne Erfolg. Der BGH bestätigte, dass die Beklagte krankheitsbedingt in der Ersatzwohnung keine Alternative und damit keine Lösung für die aus ihrer Sicht ausweglosen Situation gefunden hätte, was einer Härte nicht entgegen stehe.

Im Rahmen der Interessenabwägung verbiete sich vor allem eine schematische Beurteilung dahingehend, dass die Ablehnung einer Ersatzwohnung stets zugunsten des Vermieters zu berücksichtigen sei und dazu führe, dass der Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht verlangen könne. Auch die fehlende Einsichtsfähigkeit in eine Therapiebedürftigkeit, sowie die Erfolgsaussichten einer Therapie sind zwar in die konkrete Interessensabwägung einzubeziehen, jedoch nicht als ausschlaggebendes Kriterium zu behandeln.