13. Januar 2023Dr. Dierk Bredemeyer
EuGH, Beschluss vom 12.01.2023 - C-396/21
Ein Anspruch auf Preisminderung bei gebuchten Pauschalurlauben besteht möglicherweise, wenn Reisende durch staatliche Corona-Maßnahmen beeinträchtigt wurden, so der EuGH zur Auslegung der Pauschalreiserichtlinie. Dem Reiseveranstalter kommt hier grundsätzlich eine verschuldensunabhängige Haftung zu.
Im vorliegenden Fall hatten die Kläger im März 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, eine zweiwöchige Pauschalreise auf den Kanarischen Inseln bei einem deutschen Reiseunternehmer gebucht. Kurz nach Ankunft der Reisenden wurden auf den Kanarischen Inseln Maßnahmen zum Infektionsschutz umgesetzt, welche starke Einschränkungen für Touristen nach sich zogen und schließlich zu einer verpflichtenden vorzeitigen Abreise der Kläger nach bereits einer Woche führten. Es galt unter anderem eine allgemeine Ausgangssperre für Touristen und Strände wurden gesperrt. Auch die im Hotelaufenthalt enthaltenden Angebote wie das Animationsangebot oder die Nutzung des Pool-Bereichs wurden eingeschränkt oder gar eingestellt.
Daraufhin verlangten die Kläger eine Preisminderung von 70 Prozent gegenüber dem Reiseveranstalter. Dieser verweigerte dies aber mit der Begründung, er habe nicht für ein solches „allgemeines Lebensrisiko“ einzustehen. Die beiden Reisenden verklagten ihn daraufhin vor den deutschen Gerichten.
Erstinstanzliche wurde die Klage abgewiesen.
Grundsätzlich haben Reisende mach der Pauschalreiserichtlinie einen Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden Zeitraum, in dem eine Vertragswidrigkeit vorlag. Dieser Anspruch besteht allerdings nur dann, wenn der Reiseveranstalter nicht belegen kann, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden selber zuzurechnen ist.
Im Berufungsverfahren vor dem LG München I musste nun die Frag geklärt werden, wem das Risiko der Pandemie aufzuerlegen ist: Fällt die Pandemie in den Haftungsbereich des Reiseveranstalters, oder ist sie Teil des „allgemeinen Lebensrisikos“, was die Haftung des Reiseveranstalters ausschließen würde? Als Auslegungsfrage einer europarechtlichen Richtlinie legte das LG diese Frage dem EuGH als Vorlagefrage vor.
Die Frage nach der Minderung ist, so der EuGH, nur davon abhängig, dass der Reiseveranstalter seine vertraglichen Pflichten nicht erfüllt hat. In Bezug auf die Preisminderung kommt dem Reiseveranstalter eine verschuldensunabhängige Haftung zu, wobei das Vertretenmüssen irrelevant ist. Warum die, von der Pauschalreise erfassten Leistungen wie Flüge, Unterkunft oder Mietwagen nicht oder nur mangelhaft erbracht werden konnten, spielt dabei also keine Rolle. Der Veranstalter muss haften und die Minderung gegen sich wirken lassen.
Einzige Einschränkung ist nur, dass dem Reisenden die Vertragswidrigkeit nicht selber zuzurechnen ist. Der EuGH stellte klar, dass das Risiko der Pandemie nicht in den Risikobereich des Reisenden, wenngleich die Einschränkungen auch am Wohnort des Reisenden sowie in anderen Ländern galten.
Nun liegt es am LG München I festzustellen, ob zum Beispiel die Sperrung des Pool, das Fehlen eines Animationsprogramms oder die Unmöglichkeit des Zugangs zum Strand oder von Ausflügen eine Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung von Reiseleistungen sind. Der Gerichtshof wies dabei deutlich daraufhin, dass bei der Beurteilung der zu erbringenden Leistungen der Reiseveranstalter neben den ausdrücklichen, im Vertrag erwähnten Leistungen, auch diejenigen Leistungen berücksichtigt werden müssen, die damit zusammenhängen und sich aus dem Ziel des Vertrages ergeben.
Für die Minderung im konkreten Fall genügt jedoch die Tatsache, dass der Urlaub abgebrochen werden musste und den Urlaubern die angekündigten Unterhaltungsprogramme und Hotelangebote verwehrt wurden. Die Höhe der Minderung ist durch das LG festzustellen.