30. April 2024Dr. Dierk Bredemeyer

BVerwG: zur innerdienstlichen Pflichtverletzung im Beamtenverhältnis aufgrund von sexueller Belästigung außerhalb der Dienstzeit

BVerwG Urteil vom 01.02.2024 – 2 A 7.23

In einem Fall von sexueller Belästigung eines Vorgesetzten gegenüber einer Praktikantin bei einem privaten Abendessen nach Dienstschluss hatte der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) im Rahmen einer Disziplinarklage des BND gegen einen seiner Beamten zu entscheiden, ob das Verhalten als Dienstvergehen anzusehen ist und disziplinarische Maßnahmen nach sich ziehen kann.

Der Vorfall ereignete sich, nachdem eine Praktikantin im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes für den gehobenen Dienst gemeinsam mit dem ihr zugewiesenen und vorgesetzten Beamten dienstlich unterwegs war: Nach Abschluss einer dienstlichen Operation vereinbarten sie, zur Verschleierung des operativen Dienstgeschäfts, einen Weihnachtsmarkt zu besuchen. Nach einigen Glühwein und neutralen Gesprächen über Politik schlug der Beamte vor, ein nahegelegenes Restaurant zu besuchen.

Nachdem beide zu Beginn ihres Aufenthalts dort vereinbart hatten, das Ende der Dienstzeit auf 17 Uhr festzulegen, konfrontierte der Beklagte die Betroffene unvermittelt und ohne Übergang mit Themen im Bereich der Sexualität. Insbesondere fragte er die Praktikantin nach ihren sexuellen Vorlieben und bevorzugten Sexualpraktiken und lud sie zu einem gemeinsamen Besuch eines „Swinger-Clubs“ ein, was sie mehrfach ablehnte. Die Praktikantin machte deutlich, dass ihr das Gespräch unangenehm sei, versuchte sich der Situation mehrmals zu entziehen, jedoch ohne Erfolg. Der Beamte setzte seine „Befragung“ fort und suchte im weiteren Verlauf zunehmend körperliche Nähe, indem er ihre Hand ergriff und sie zum Abschied umarmte und auf die Wangen küsste.

Nachdem die Praktikantin das grenzüberschreitende Verhalten des Beamten ihrem stellvertretenden Sachgebietsleiter gemeldet hatte, erhob die Dienststelle Disziplinarklage gegen den Beamten und beantragte seine Rückstufung.

Das BVerwG bestätigte das Verhalten als Dienstvergehen. Ein solches liegt nach § 77 Bundesbeamtengesetz (BBG) vor, wenn Beamte rechtswidrig und schuldhaft gegen ihre Pflichten aus dem Dienstverhältnis verstoßen.

Der Beamte habe — so der Senat — durch sein Betragen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten aus § 61 Abs. 1 S. 3 BBG verletzt. Diese Pflicht mit Anforderungen an das Verhalten von Beamten diene dazu, eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Beamten und damit die Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums zu gewährleisten. So folge aus ihr, dass man sich anderen Beschäftigten gegenüber stets korrekt und kollegial zu verhalten habe, um den Betriebsfrieden zu warhen. Unsachliche Äußerungen, die geeignet sind, das kollegiale Dienstverhältnis der Beschäftigten zu beeinträchtigen – insbesondere solche mit sexueller Konnotation – seien im dienstlichen Bereich zu unterlassen.

Zwar setze die Annahme eines Verstoßes gegen die Pflicht aus § 61 Abs. 1 S. 3 BBG nicht zwingend eine, als sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 und § 24 Nr. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu qualifizierende Verhaltensweise voraus. Liege eine solche vor, so sei sie jedoch stets als Dienstvergehen zu qualifizieren.

Vorliegend habe der Beklagte nach Ansicht des Senats nicht nur mit seinen Äußerungen und durch das Herstellen von körperlichem Kontakt gegen den Willen der Betroffenen in grober Weise die aus der Wohlverhaltenspflicht resultierenden Anforderungen verletzt. Vielmehr seien die beharrlichen Fragen des Beklagten zu bevorzugten Sexualpraktiken aufgrund ihres sexuellen Inhalts auch als sexuelle Belästigung zu bewerten (§ 3 Abs. 4 AGG).

Für das BVerwG ist bei der Einordnung als Dienstvergehen unerheblich, dass das Gespräch formal nach Dienstschluss stattgefunden hat.

Zwar sei Missverhalten außerhalb des Dienstes nur unter hohen Voraussetzungen als Dienstvergehen anzusehen, die hier wohl nicht erfüllt gewesen wären. Nämlich nur dann, wenn die Pflichtverletzung nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Jedoch stellte der Senat klar, dass die Unterscheidung zwischen inner- und außerdienstlicher Pflichtverletzung nicht ausschließlich auf der formalen Zuordnung in räumlicher oder zeitlicher Beziehung zur Dienstausübung beruhe. So sei das Übereinkommen der Beteiligten, den Dienst vor dem Restaurantbesuch zu beenden, nicht maßgeblich.

Vielmehr komme es auf eine Verknüpfung des Vergehens mit dem Amt an: Indem der Beklagte die Praktikantin nur aufgrund der Einbettung in den als „Verschleierungsmaßnahme“ dienstlich geprägten Besuch des Weihnachtsmarkts und damit unter Ausnutzung des dienstlichen Kontexts zu dem nachfolgenden Restaurantbesuch bewegen konnte, sei auch dieser dienstlich geprägt.

Gerade wegen dieses engen Zusammenhangs und ihrer untergeordneten Stellung als Praktikantin habe sie sich daran gehindert gesehen, „so zu reagieren, wie ich eigentlich hätte reagieren wollen“ und das Gespräch zu beenden.

Im Ergebnis ordnete das BVerfG das Verhalten des Beamten als mittleres Dienstvergehen ein und stufte den Beamten um eine Stufe zurück. Gleichzeitig wurde ihm ein Beförderungsverbot von vier Jahren (§ 9 Bundesdisziplinargesetz) auferlegt. Zulasten des Beamten wertete das Gericht, dass er sich gegenüber der Praktikantin sowohl verbal als auch körperlich unangemessen und grenzüberschreitend verhalten hatte. Bislang hatte sich der Beamte korrekt verhalten, was das Gericht entlastend berücksichtigt hat.

Auf einen Blick

BVerwG: sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 und § 24 Nr. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) stets eine Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten aus § 61 Abs. 1 S. 3 BBG und damit Dienstvergehen nach § 77 BBG. Dabei ist unerheblich, ob Handlung formal nach Dienstschluss stattgefunden hat, solange das Vergehen mit dem Amt verknüpft ist.