29. Dezember 2021Dr. Dierk Bredemeyer

BVerfG: Gesetzgeber muss Schutzregelung für behinderte und eingeschränkte Menschen im Triage-Fall treffen

1 BvR 1541/20

Der Gesetzgeber habe Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt, da er unterlassen hat eine Regelung zu treffen, welche verhindert, dass Behinderte Menschen bei der Vergabe von überlebenswichtigen medizinischen Hilfsmitteln und Behandlungsressourcen im Triage-Fall benachteiligt werden, so der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts im veröffentlichten Beschluss. Der Gesetzgeber müsse „unverzüglich“ eine Regelung treffen, welche die Gleichberechtigung bei einem medizinischem Triage-Fall für behinderte Menschen und längerfristig Kranke schützt. 

Durch die aktuell hohen Infektionszahlen und eine starke Auslastung der Intensivstationen wird immer wieder die Triage-Situation diskutiert. Als Triage wird in der Medizin eine Methode bezeichnet, nach der in Notlagen oder Pandemien ausgewählt wird, wer zuerst versorgt wird. Dabei spielt vor allem die Überlebenschancen des Patienten eine Rolle. Fraglich bleibt jedoch, nach welchen Kriterien medizinische Behandlungen und Ressourcen zugeteilt werden. Diese Ethische Frage verlangt eine juristische Antwort. 

Neun Menschen mit Behinderung oder langfristigen Erkrankungen hatten beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie befürchten, dass durch das Fehlen einer Rechtsgrundlage für den Triage-Fall, eine Benachteiligung für Menschen mit Behinderung entstehe, da diese statistisch gesehen schlechtere Erfolgsaussichten einer Behandlung hätten. Diese sei jedoch nach bisherigen Empfehlungen als Zuteilungs-Kalkül entscheidend. 

Mit der Verfassungsbeschwerde begehren sie einen wirksamen Schutz vor Benachteiligung bei der Entscheidung über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Triage-Fall. 

Grundlegend gab das BVerfG den Klägern Recht, und urteilte, dass sich eine Handlungspflicht des Gesetzgebers aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ergebe und Behinderte vor Eingriffen des Staates und Dritter im Triage-Fall geschützt werden müssen. Bei der Umsetzung habe der Gesetzgeber jedoch einen großen Spielraum, so das Urteil.

Weiter betonte das BVerfG, im Falle einer Triage müsse sichergestellt sein, dass allein nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit über Ressourcen entschieden wird. 

Den Eilantrag im August 2020 lehnte das BVerfG ab, da zu diesem Zeitpunkt nicht von einer Triage auszugehen war. 

Bei der Entscheidung und der Auslegung des Grundgesetzes wurde auch auf  die Behindertenrechtskonvention (BRK) sowie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Bezug genommen. 

Auf einen Blick

BVerfG: Triage-Fall; CoronaVirus; Schutzgebiet der behinderten Menschen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG); Handlungspflicht des Gesetzgebers; Schutz vor Diskriminierung