7. September 2023Dr. Dierk Bredemeyer

BAG: Vertraulichkeit von Äußerungen in einer Chat-Gruppe

BAG, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23

Äußert sich ein Arbeitgeber in einer privaten Chat-Gruppe beleidigend und menschenverachtend über Vorgesetzte und Kollegen, kann dieser sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen. 

Der Vorfall ereignete sich in einer WhatsApp-Gruppe mit zunächst fünf, später sechs Mitarbeiter der Fluggesellschaft TUIfly GmbH. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben sonstigen rein privaten Themen wurde die Chat-Gruppe auch genutzt, um Unmut über den Arbeitgeber und weitere Kollegen kundzutun. Der Kläger äußerte sich dabei in „beleidigender und menschenverachtender Weise, u.a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen“, wie das Gericht darlegte.

Nachdem eine Kopie des Chatverlaufs an den Betriebsrat und den Personalchef gelangt war, kündigte der Arbeitgeber dem Chatmitglied außerordentlich fristlos.

Mittels einer Kündigungsschutzklage wandte sich der Betroffene gerichtlich gegen die Kündigung.

Entscheidungsrelevant ist besonders die Frage, ob derartige Äußerungen in privaten, geschlossenen Chat-Gruppen eine Kündigung rechtfertigen können, oder ob der Verwertung dieser eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung hinsichtlich der privaten Äußerungen entgegensteht.

Sowohl die Erstinstanz als auch die Berufungsinstanz nahmen eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen an, verneinten das Vorliegen eines Kündigungsgrundes und gaben der Klage statt.

Die Revision der Beklagten vor dem Zweiten Senat des BAG hingegen hatte Erfolg. 

Nach Ansicht der Erfurter Richter sei eine Vertraulichkeitserwartung nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chat-Gruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Dieser umfasst das Recht, Äußerungen von sich geben zu können, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit nicht schutzwürdig wären. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Chat-Gruppe eines, auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums wie WhatsApp diesen besonderen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation genießt, müssen, so das BAG, im Einzelfall verschiedene Faktoren wie die Größe und die personelle Zusammensetzung der Gruppe berücksichtigt werden.

Besondere Rolle käme dabei den Inhalten der Chat-Gruppe zu: sind Gegenstand der Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Auf Grundlage dieser Begründung hat das BAG das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen zurückverwiesen. Es obliegt nun dem Kläger darzulegen, warum er an die Chat-Gruppe eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

Die Rechtsprechung zu ehrverletzenden Äußerungen in geschlossenen Gruppen von Messaging-Diensten ist bisher uneinheitlich in Deutschland. Wenngleich das BAG in Bezug auf private Gespräche im Kollegenkreis, in denen ehrverletzende Äußerungen über Mitarbeiter und Vorgesetzte fallen, bislang von einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung ausgeht und eine Verwertung des Gesprächsinhalts nicht zulasten des gekündigten Arbeitnehmers zulässt (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08), so erhöht das vorliegende Urteil die Voraussetzungen, unter denen Arbeitnehmer auf die Vertraulichkeit ihrer digitalen Aussagen vertrauen dürfen, ohne mit arbeitsrechtlichen Konsequenten rechnen zu müssen.

Auf einen Blick

BAG: bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige in Chat-Gruppen nur im Ausnahmefall einer für die Kündigung zu verwendenden entgegenstehende berechtigte Vertraulichkeitserwartung; Entscheidung im Einzelfall unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren wie Größe der Gruppe und personelle Zusammensetzung