28. Dezember 2022Dr. Dierk Bredemeyer

BAG: Verjährung von Urlaubsansprüchen – unionsrechtliche Auslegung des Verjährungsbeginns

(BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20 = PM Nr. 48/22 des BAG)

Zwar unterliegt der gesetzliche Anspruch eines Arbeitgebers auf bezahlten Jahresurlaub der gesetzlichen Verjährung, allerdings muss der Beginn der Verjährungsfrist des Urlaubsanspruchs europarechtskonform neu berechnet werden. Demnach verjährt Anspruch auf Urlaub nur, wenn Unternehmen vorher ihre Beschäftigten darauf hingewiesen haben, dass ihnen Urlaub zusteht, der bei fehlender Inanspruchnahme verfällt.

Fehlt es hieran, können auch noch Ansprüche aus früheren Jahren geltend gemacht werden, so das BAG in einer Folgeentscheidung des EuGH.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte eine Steuerfachangestellte vor dem Arbeitsgericht Solingen zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren. Diesen konnte die Klägerin, nach eigenen Aussagen, nie vollständig in Anspruch nehmen, da sie immer viel zu tun gehabt habe.

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht wies die Klage ab, das LG Düsseldorf jedoch gab der Klägerin recht und verurteilte den Arbeitgeber zur Abgeltung des geltend gemachten Urlaubs. Die Einrede des Arbeitgebers, die Urlaubsansprüche seien verjährt, wurde für nicht durchgreifend erachtet.

Die Kammer sprach der Steuerfachangestellten damit eine Summe von EUR 17.376,64 brutto Urlaubsabgeltung von 76 Arbeitstage für die Jahre 2013 bis 2016 zu.

In der Revision der Beklagten vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts musste nun geklärt werden, inwieweit die Vorschriften der Verjährung (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB) auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung finden. 

Eine Beurteilung der Frage ausschließlich nach nationalem Recht wäre einfach: gem. § 7 Abs. 3 BUrlG verfällt Urlaub mit dem Ende des Kalenderjahres, spätestens aber zum 31.3. des Folgejahres, sollte er im aktuellen Kalenderjahr nicht genommen werden. Noch bestehender Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht beansprucht werden konnte, wäre auszuzahlen (§ 7 Abs. 4 BUrlG).

Allerdings finden gerade Normen des deutschen Arbeitsrecht ihren Ursprung oft in der Umsetzung europäischer Richtlinien, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass die Richter des BAG allein im Jahr 2020 dreimal die Luxemburger Unionsrichter um Klarstellung ersuchten, wie die Vorschriften der europäischen „Urlaubsrichtlinie“ für das nationale Arbeitsrecht anzuwenden sind. Auch das Recht auf bezahlten Jahresurlaub wird europarechtlich auf höchster Ebene, nämlich in Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtscharta festgelegt. Urlaubsrechtliche Fragen können deshalb nicht allein nach nationalem Recht, sondern nur im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben betrachtet werden. 

Besondere Relevanz kam deshalb der Vorentscheidung des EuGH vom 22. September 2022 (- C-120/21 -) zu.

Bereits im Jahr 2018 hatte der EuGH entschieden, dass Urlaub nur verfallen könne, wenn Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber „durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde“, den Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen. Das BAG setzte diese Entscheidung im Folgejahr um und schuf eine arbeitgeberseitige Hinweis- und Aufklärungspflicht als Obliegenheit eines Arbeitgebers. Nur, wenn der Arbeitgeber diese erfülle, könne Urlaub nach den Vorgaben des BUrlG verfallen.

In der Vorentscheidung entschied der Gerichtshof nun, dass der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurücktreten muss, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen.

Hintergrund ist, dass der Arbeitgeber kein schützenswertes Interesse besitzt, wenn durch ihn der Arbeitgeber zuvor in die Lage versetzt wurde, seinen Urlaub tatsächlich wahrzunehmen. In der Pressemitteilung zum Urteil heißt es: „Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben.“

Daher stehe das nationale Verjährungsrecht Deutschlands den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie entgegen, wenn es zum Urlaubsverfall beim nicht aufgeklärten Arbeitnehmer führe.

Das BAG entschied indessen, dass der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich der gesetzlichen dreijährigen Verjährung unterliege, wobei die „dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat“, beginnt.

Fraglich bleibt, inwieweit ehemalige Arbeitnehmer ihren ehemaligen Arbeitgeber auf Abgeltung nicht gewährten Urlaubs in Anspruch nehmen können und wen die Beweislast für das Vorliegen des Urlaubs trifft.

(Aktualisierung durch BAG Urteil  v. 31.01.2023, (Az. 9 AZR 456/20) und Beantwortung der offenen Frage finden Sie hier)

Auf einen Blick

Anspruch auf Urlaub verjährt nur, wenn Unternehmen vorher ihre Beschäftigten darauf hingewiesen haben, dass ihnen Urlaub zusteht, der bei fehlender Inanspruchnahme verfällt.

Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.